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21.8.2008

24. 10. 2008 // // Kategorie Randnotizen 2008

Vor einigen Tagen versuchte ich, Veronika und Florian zu erklären, dass das Interessanteste am Schreiben von Posts für einen Blog die Inversion ist, die sich zwischen Schreiben und Lesen entwickelt. Das eine bewegt sich vom Anfang zum Ende und das andere vom Ende zum Anfang.

Daher auch diese Beliebigkeit bei den Daten in den Titeln meiner Posts.

Es kann irgendein Datum sein. Zum Beispiel der 21.8.2008, der Tag, an dem wir eines unserer seltenen gemeinsamen Fotos geschossen haben.

Auf jeden Fall ist das hier der letzte Post.

Aber er könnte auch der erste sein.

In der Einleitung könnte ich auf ein paar Zeilen ankündigen, worum es sich in den nächsten Posts drehen wird. Nichts Spektakuläres. Ein Sommer. Eine Insel. Eine Halbinsel. Ein unvollendeter Roman und ein unvollendetes Drama. Und Petercol.

Sowie das übliche Gejammer darüber, dass ich so viel reisen muss, so dass ich mich nicht auf die Alkoholabstinenz konzentrieren kann.

Ich habe es volle vier Wochen ausgehalten. Ein Rekord.

Tihana habe ich sofort gemeldet, dass sich die Welt viel langsamer dreht.

Ich habe mich wichtigtuerisch bei Barbara gemeldet, als ich auf halbem Weg war:

I even stopped drinking wine. Completely.

For the last 12 days I have been consuming only pin-apple juice and bancha tea.

Either I get sick, either I write something really good. No other option.

Bei Alida etwas später:

Weißt du, dass ich seit genau 24 Tagen nichts mehr trinke?

24 Tage je volle 24 Stunden.

576 Stunden.

Ziemlich lange.

Und nach vier Wochen schickte ich eine SMS an Petercol:

Ich tanze.

Eigentlich habe ich Kastanien über die Petersburger Allee gekickt.

Ein langer Schritt und zwei kurze Schritte dann wieder ein langer Schritt und zwei kurze und wieder ein langer Schritt und zwei kurze. Immer im Kreis. Man könnte meinen, es handele sich um einen Walzer. Aber das stimmt nicht.

Was dann?, fragte Petercol.

Cuvée Cabernet Sauvignon & Pinot Noire. Barrique.

Aus dem Kroatischen von Alida Bremer

Zwischen 54 und 56

16. 10. 2008 // // Kategorie Randnotizen 2008

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle.

Und wenn ich weissagen könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, also daß ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.

Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.


Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie blähet sich nicht,

sie stellet sich nicht ungebärdig, sie suchet nicht das Ihre, sie läßt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu,

sie freut sich nicht der Ungerechtigkeit, sie freut sich aber der Wahrheit;

sie verträgt alles, sie glaubet alles, sie hoffet alles, sie duldet alles.

Die Liebe höret nimmer auf, so doch die Weissagungen aufhören werden und die Sprachen aufhören werden und die Erkenntnis aufhören wird.

Denn unser Wissen ist Stückwerk, und unser Weissagen ist Stückwerk.

Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören.

Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und war klug wie ein Kind und hatte kindische Anschläge; da ich aber ein Mann ward, tat ich ab, was kindisch war.

Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich’s stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.

Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

1. Kor, 13

22.9.2008

15. 10. 2008 // // Kategorie Randnotizen 2008

In dem neulich in der Tageszeitung vom 22. September veröffentlichten Gespräch mit Michael Hardt kommentiert er die Tatsache, dass die Leser jener Bücher, die er gemeinsam mit Antonio Negri verfasst, immer schmerzhaft auf die darin enthaltene Sentimentalität reagieren. Hardt sagt dort, dass immer dann eine Beunruhigung zu verzeichnen ist, wenn über Liebe gesprochen wird, und er meint, dass die Liebe vollständig kompatibel mit ihren marxistischen Ideen sei, viel mehr noch, dass sie als Vehikel des Widerstandes dienen kann.

Dasselbe sagte auch der Heilige Paulus.

Doch er verlangt, wenn er Liebe predigt, LIEBE FÜR ALLE, man möge ihn für einen Verrückten halten.

– Ich rede töricht.

(2. Kor, 11, 23)

So spricht der Heilige Paulus in den Briefen an die Korinther.

Als er seine Zuhörer auffordert, ihn für einen Irren zu halten, erinnert er sie: „Denn ihr ertraget gerne die Narren, ihr, die ihr klug seid!“ (2. Kor, 11, 19), wobei er auf die Tatsache anspielt, dass die Reden der Verrückten immer nur ein metaphorischer Weg zu den Reden der Wahrheit waren. Infolgedessen ist der intentionale Bruch mit der Vernunft, auf den sich Paulus beruft, kein Akt der Verrücktheit, sondern ein politischer Akt.

Alain Badiou nennt die Paulus-Briefe in seiner Analyse Interventionen, er schreibt ihnen Aufführungseigenschaften zu und meint, dass sie ein politisches Potential für die Formung des freien Menschen beinhalten. Dieses politische Potential liegt in der Tatsache begründet, dass Paulus in einer Sprache ohne Stütze spricht, ohne Stütze innerhalb der bestehenden Ordnung, in einer Sprache außerhalb des Gesetzes, die sich im Unfassbaren und Unaussprechlichen bewegt. Deshalb spricht er nicht nur als ein Narr, sondern auch als Revolutionär, denn wenn er eine Wahrheit predigt, die sich außerhalb des Gesetzes befindet und die sich nur außerhalb des Gesetzes ereignen kann, dann blüht in den Quellen des biblischen Textes, aus denen auch Paulus’ unaussprechliche Botschaft quillt, eine revolutionäre Idee.

Also – die Liebe. Schon wieder.

Aus dem Kroatischen von Alida Bremer

8.3.1987

14. 10. 2008 // // Kategorie Randnotizen 2008

März, März, März… Die ganze Zeit versuche ich, mich zu erinnern, was sich alles im März 2001 ereignet hat, aber kein Datum sticht besonders hervor. Ich kann mich nur daran erinnern, dass wir damals mit der BAD company die Premiere des Stückes 2Drei4 aufführten, dass ich parallel dazu das Drama Herumtreiber schrieb und dass ich viel mehr getrunken als gegessen habe, wahrscheinlich überzeugt davon, dass ich immer noch sowohl nüchtern als auch zu dick war.

Das einzige Datum im März, an das ich mich erinnere, ist der Internationale Frauentag, der 8. März 1987, als mein Vater in Folge einer Unachtsamkeit bei der Bedienung einer Maschine den Zeigefinger seiner rechten Hand verlor. An dem Tag kam er früher nach Hause, mit verbundener Hand. Er zog sich in sein Zimmer zurück. Meine Mutter hinter ihm her. Sie schlossen die Tür hinter sich und kamen erst am Abend wieder aus dem Zimmer. Ihre Augen waren gerötet.

Wir fragten Vater, was ihm passiert sei. Er antwortete: Nichts.

Und meine Mutter fügte hinzu: Er wird nicht einmal eine Entschädigung bekommen.

In den folgenden paar Tagen besuchte mein Vater Freunde und Verwandte und erzählte allen dieselbe traurige Geschichte, wie ihn ausgerechnet am Internationalen Frauentag die Maschine in der Fabrik verstümmelt hatte. Ich Ärmster. Meine Großmutter sagte ihm, er solle aufhören zu jammern und sich wie ein Mann benehmen. Und mein Großvater zog sein Hemd aus und zeigte ihm eine Schusswunde aus dem 2. Weltkrieg. Nach dieser Herausforderung wickelte mein Vater seinen Verband ab und zeigte seine Hand mit vier Fingern. Zum ersten Mal.

Mein Bruder sagte: Echt cool.

Mit der Zeit begann auch mein Vater, sich darüber lustig zu machen. Er ließ sich regelmäßig mit seiner Faust an Nase oder Ohr fotografieren, so dass es aussah, als pulte er in seinem Gehirn herum. Meine Mutter hasste solche Scherze und drohte ihm mit Scheidung, wenn er sich je in ihrer Gesellschaft fotografieren lasse, während er mit seinem amputierten Finger in der Nase bohrte.

Er hat es nie getan. Aber trotzdem ließen sie sich scheiden.

Darüber hinaus behielt meine Mutter Recht. Eine Entschädigung hat er nie bekommen.

Aus dem Kroatischen von Alida Bremer