Viel Arbeit, wenig Ragnitz-Bad

12. 8. 2014 // // Kategorie Randnotizen 2014

Eine ganze Woche lang waren sie hier in Graz: Kristof Schreuf, Andreas Spechtl und Robert Stadlober haben mich in meiner »Stadtwohnung«, die ich nutzen darf, weil Tamara und Dieter Glawischnig so großzügige Gastgeber sind, besucht. Das »Team Marcuse« war also komplett – und das auch noch unter einem Dach, in Wohngemeinschaft. Das ist kein kleiner Unterschied zum Proben und Besprechen, wie sonst üblich, also mit »Feierabend« und Rückzug aus dem Kollektiv.
Ich glaube, wir waren viel fleißiger als damals, bei der Verabredung im Mai, geplant. Jedenfalls waren wir jeden Tag mindestens zehn Stunden »am Ball«; das Ragnitz-Bad – meines Erachtens eine Hauptattraktion in Graz – hat man kaum gesehen.
Was sagt man über die erste so intensive gemeinsame Zeit, in der unser »Eindimensionaler Mensch« ein gutes Stück vorangebracht werden sollte? Was ist die (Zwischen-)bilanz?
Also: Wie es sich gehört für ein KONZERT-THEATER, das ohne Chef, ohne Regisseur, ohne »einen, der den Hut aufhat« auskommen will, blieb uns nichts erspart von alledem, das sowohl schön als auch bedrohlich ist:
– Das Verwerfen von Ideen, die noch im Juni den Eindruck eherner Gültigkeit zu haben schienen. Mit der (immer schmerzhaften) Anforderung an jenen, der sie ausgebrütet hatte, wenn schon nicht der Neuerung begeistert zuzustimmen, den »Umsturz« jedenfalls zu akzeptieren.
– Das Einüben von wechselseitiger Schroffheit; also, was man für Mist hält, nicht mit diplomatischen Formeln – um den heißen Brei herumschleichend – zu verunklaren.
– Das Gefühl nach einem besonders gelungenen Probentag im Übungsraum, man habe fast schon den (musikalischen) Sound des ganzen Abends gefunden. (Ich, weil in diesen Teil der Arbeit kaum verstrickt, darf sagen, ohne dass der Gestank von Eigenlob zum Himmel steigt: Hier sind einige Songs – jedenfalls im Entwurf – entstanden, die mir grandios scheinen; und die alle überraschen werden, die z.B. glauben: Wenn Andreas Spechtl musiziert, klingt es so ähnlich wie »Ja, Panik«. Diesmal nicht!
– Natürlich gab es auch die Tage, die sogenannten gebrauchten, an deren Ende man denkt, man habe viele Stunden auf der Stelle getreten – man sei nicht irgendwie auf halbem Wege zum Gipfel, sondern noch nicht einmal am Fuße des Berges angelangt. Und das auch noch bei Nebel.
Dann versicherten wir uns – als wären wir alle die erfahrendsten Haudegen des Metiers –, solche Krisen seien völlig normal, gehörten nun einmal dazu – und kein Grund zur Beunruhigung. (Und eine Flasche mehr als sonst wird dann entkorkt). Ohne die (akzeptierte) Angst vor Scheitern und Blamage ist »Kunst« eben nicht zu machen.

Groß waren Genuss und Erkenntnisgewinn und Freude am Disputieren, als wir uns gegenseitig die Beiträge für unser Programmheft vorgelesen haben. Einzelnen Gedanken Herbert Marcuses haben, und da kommt noch mehr!, jetzt schon reflektiert: Thomas Blum, Roger Behrens, Dirk Braunstein, Bazon Brock, Dietmar Dath, Georg Füllberth, Barbara Kirchner, Kurt Palm, Hans Platzgumer, Stefan Ripplinger und Berthold Seliger – Hermann Gremliza und Sonja Eismann sind auch schon bald fertig. Da kommt geballter Kunst- und Theorieverstand auf uns zu (und sehr unakademisch daher). In meinen nächsten »randnotizen« will ich einige Kostproben daraus vorstellen.
Bis dahin, weil das zum Bericht über unsere Proben passt, noch was von Marcuse; sein Lob der Phantasie:

»Die kritische Funktion der Phantasie liegt in ihrer Weigerung, die vom Realitätsprinzip verhängten Beschränkungen des Glücks und der Freiheit als endgültig hinzunehmen, in ihrer Weigerung, zu vergessen, was sein könnte.«
(Aus »Triebstruktur und Gesellschaft«)